Unsterblichkeit - Trauma oder Chance?

Ewig jung bleiben: Wer hat diesen Traum nicht schon einmal geträumt?

Für Marc Aurel, dem römischen Philosophenkaiser, war es noch die Einstellung, die geistige Haltung, die die Seele verjüngte. Lucas Cranach malte sich in der Renaissance schon konkreter aus, wie er sich die körperliche Verjüngung vorstellte.

Ein heutiger Biologe wie Aubrey de Grey sieht schon für die kommende Generation eine Lebensspanne von 5000 Jahren, wobei diese Grenzziehung angesichts der sich beschleunigenden Entwicklung von Wissenschaft und Forschung eher nur rhetorischen Charakter hat.


Wann auch immer es soweit sein wird, es wird keine 2000 Jahre und keine 500 Jahre mehr dauern, bis der Mensch allein entscheiden kann, wann und wie er stirbt. Körperlich gesehen wird sich die Lebensdauer weiter verlängern. Von durchschnittlich 80 Jahren heute bis 100 oder 120 in den nächsten Jahrzehnten. Und wer es bis dahin geschafft hat, kann darauf hoffen, einen weiteren Entwicklungssprung in Medizin und Technik mitzuerleben.

Hoffen? Wollen wir alle möglichst alt oder gar unsterblich werden? Angesichts von Siechtum und Demenz, den großen Volkskrankheiten wie Krebs oder Schlaganfall ist es sicherlich wünschenswert, im Alter gesund und fit zu sein. Aber quasi als Untoter dauernd zu leben, aus dem ewigen Gegensatz zwischen Geburt und Tod auszubrechen, wer mag sich das als positive Entwicklung vorstellen?

Und doch werden wir nicht daran vorbeikommen. Es sei denn, wir bringen uns ab einem bestimmten Alter selber um, was vermutlich etliche angesichts eines nicht enden wollenden Lebens, tun werden.

Dabei wird es nicht nur so sein, dass einfach der Körper durch den Einsatz von jungen Zellen sozusagen runderneuert wird. Die Gehirnforschung ist heute schon auf dem besten Wege, die Funktionsweise von Denken und Erinnern, von Wahrnehmen und Fühlen aufzudecken. D.h. schon bald ist denkbar, dass das Gehirn gescannt bzw. digitalisiert und dann in einem technischen Speicher abgelegt wird. Sozusagen das Gehirn auf der Festplatte. Mit update und Sicherungskopie. Was umgekehrt bedeutet, dass Computer gebaut werden, die wie Menschen denken und handeln können oder sogar besser, sprich leistungsfähiger sind.

Jeder Mensch könnte sich dann vervielfältigen. In Meyer 1, 2 oder 3. Und jeder Meyer würde zu einem eigenen Individuum, weil er eigene Erfahrungen sammelt und sich damit von den übrigen immer mehr unterscheidet. Ähnlich wie heute Kinder in die Welt setzen. Man könnte allerdings an den Kosten für die Erziehung sparen, denn diese Nachkommen sind quasi schon perfekt.

Eine andere Möglichkeit der ewigen Existenz wäre das Leben in elektronischen Welten. Millionen Menschen haben schon Erfahrung mit second life gemacht, einer virtuellen Spielwiese, die von manchen schon als Ersatz für das reale Leben genutzt wird. Wenn die Interaktionsmöglichkeiten durch die technische Entwicklung wesentlich verbessert wird, d.h. Sprechen und Fühlen zum Sehen dazukommen, werden die Menschen vermutlich weitgehend auf das mühsame Bewegen mit Armen und Beinen in einer nicht unbedingt perfekten Welt verzichten und sich stattdessen in virtuellen Welten aufhalten. Meyer 1, 2 und 3 leben dann als Avatar, künstliche Menschen, in einer künstlichen Umwelt, und können dort Abenteuer und Sinnhaftigkeit des Lebens erfahren.

Sinnhaftigkeit? Könnte es Sinn machen, sein Leben nicht nur unendlich auszudehnen, sondern sogar nur als virtuelle Kopie existieren?

Wo bleibt da die gewohnte Ordnung von Gesellschaft und Staat, von Moral und Sitten, von Familie, Beruf und Religion? Apropos Religion. Wenn der individuelle Tod aufgehoben ist, welche Existenzberechtigung hat dann noch Kirche und Religion?

Wie soll ein Staat funktionieren, wo große Teile der Bevölkerung überwiegend virtuell leben? Wie soll eine Wirtschaft funktionieren, wenn die Produkte und Dienstleistungen hauptsächlich virtuell konsumiert werden, also quasi nur software sind. Wo bleibt die Arbeit, wo der Lohn, wo die Rente angesichts einer solchen schwindelerregenden Aussicht, vor der man am besten den Kopf in den Sand steckt oder alles abstreitet, was auf dasselbe hinausläuft.

Vielleicht ist es aber nur die Angst vor einer unkalkulierbaren Zukunft, die uns scheinbar den Boden unter den Füßen hinweg zieht. Vielleicht werden wir mit diesen ungewohnten technischen Möglichkeiten das Paradies auf Erden finden, wo es ohnehin auch nur Arbeitslose gab und die gebratenen Tauben und alles übrige umsonst. Vielleicht finden wir mit Hilfe der Technik, von Arbeit befreit, zurück zu den Ursprüngen menschlichen Seins.

Ihr seid so jung wie Euer Glaube. So alt wie Eure Zweifel. So jung wie Euer Selbstvertrauen. So jung wie Eure Hoffnung. So alt wie Eure Niedergeschlagenheit. Ihr werdet jung bleiben, so lange ihr aufnahmebereit bleibt: Empfänglich fürs Schöne, Gute und Grosse; empfänglich für die Botschaften der Natur, der Mitmenschen, des Unfasslichen. Sollte Euer Herz zersetzt werden von Pessimismus, zernagt von Zynismus, dann möge Gott Erbarmen haben mit Eurer Seele, der Seele eines Greises. (Marc Aurel)

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